Analoge Medien digitalisieren 

Von Moritz Grebner

Ein Großteil der Zeitzeug*innen, die das Erzählcafé besuchten, brachten neben ihren Erinnerungen an Olympia 72 auch unterschiedliche Fotografien und Objekte, wie Anstecknadeln, Ausweise oder Souvenirs mit, die sie mit den Spielen in Verbindung setzen. Auf Grund der Vielzahl der mitgebrachten Medien entstand die Idee, die privaten Zeitdokumente in einem gemeinschaftlichen Prozess mit den Zeitzeug*innen zu digitalisieren und diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Digitalisieren Selbermachen 

Ziel war es, möglichst einfache und zugängliche Stationen zu entwickeln, in denen die Zeitzeug*innen entweder alleine oder mit Unterstützung der Museumsmitarbeiter*innen ihre jeweiligen Medien selbst digitalisieren können. Das Digitalisieren von Medien birgt für einen Großteil der Zeitzeug*innen nicht zu unterschätzende technische Hürden, die es in der Entwicklung der Stationen abzubauen galt. Intuitive Bedienungen und ein logischer, nachvollziehbarer Aufbau standen im Fokus. Es sollte möglich sein, Probleme idealerweise immer selbst zu lösen. Keinesfalls durften die Stationen durch eine Übertechnisierung abschreckend wirken und sollten nicht den Eindruck vermitteln, dass dort wie in einem Fotostudio nur Expert*innen digitalisieren können. Stattdessen sollten kleine Labore des Selbermachens entstehen, in denen – wie ganz nebenbei – Digitalisierungskompetenzen vermittelt werden. Dies kann vor allem eine ältere Zielgruppe von Zeitzeug*innen befähigen, über das Projekt hinaus eigenständig private Fotos und Filme zu archivieren.

Die fünf Digitalisierungsstationen  

Im Bereich der Amateurfotografie gibt es von unterschiedlichen Anbietern diverse Scanner, mit denen sich alte Dias, Negative, Super 8 Filme und Fotos digitalisieren lassen. Mit einfachen Fotoscanner-Apps können alle möglichen Diaformate digitalisiert werden, die automatisch das Bild bearbeiten und beschneiden. Videoadapter und Capture Software ermöglichen eine Verbindung zwischen VHS-Player und Laptop, um alte Videokassetten in gängige Videoformate zu konvertieren. Mit der Kamera eines Tablets und einer LED ausgeleuchteten Fotobox lassen sich Objekte spielerisch in Szene setzen. Bei der Entwicklung der jeweiligen Stationen wurde auf Geräte zurückgegriffen, die relativ kostengünstig im Internet bestellbar sind und  bereits für den Heimgebrauch entwickelt wurden. 

Station 1: Dias & Negativfilme digitalisieren 

Eingesetzte Medien: 

1x Dia & Negativ Scanner 
1x HDMI Kabel 
1x Monitor Bildschirm 
1x SD Speicherkarte 

Eine Zeichnung eines Dia/Negativscanners, bei dem ein Negativfilm eingescannt wird
Zeichnung (c) Kathi Seemann

Funktionsweise: 

Von verschiedenen Anbietern gibt es Dia & Negativfilm Scanner für den Heimgebrauch. Das Prinzip ist überall gleich – Die Dias bzw. Negativfilmstreifen werden Bild für Bild durch einen Schlitz im Filmscanner geschoben. Ein kleines LCD Display erlaubt eine Sofortvorschau des eingeschobenen Dias (das Vorschaubild kann per HDMI auf einen größeren Bildschirm übertragen werden). Durch Verschieben des Dias wird die richtige Position bestimmt, optional kann jetzt noch die Farbe/Helligkeit angepasst werden. Durch Drücken der „Scan- Taste” wird anschließend das jeweilige Dia mit der optionalen Bildkorrektur eingescannt und als JPEG auf einer SD Speicherkarte abgelegt. Dieses Prinzip kann jetzt Bild für Bild wiederholt werden. Anwendbar auch für Negativfilme in den Formaten (135, 110, 126 mm) und Kleinbild Dias (135, 110, 126 mm). Die Anleitung „How To Dia & Negativ Scan“ des Modells Kodak Slide Digital Film Scanner gibt es hier.

Anwendung: 

Der oben beschriebene Film Scanner ist intuitiv zu bedienen, da die Bildpositionierung nicht elektronisch, sondern durch das manuelle Platzieren des Dias erfolgt. Das Menu mit den optionalen Korrekturen im Bereich Farbe/Helligkeit ist übersichtlich aufgebaut und das Navigieren erfolgt über einfache Drucktasten am Gerät. Da jedes Bild einzeln positioniert und gescannt wird, entsteht automatisch eine Selektion der relevanten Bilder. Während dieses Auswahlprozesses kamen die Zeitzeug*innen häufig wie beiläufig ins Erzählen und Erinnern.  

Station 2: Dias scannen mit App  

Eingesetzte Medien: 

2x Tablets 
1x Klemme mit Tischstativ-Halterung 
1x Diascanner-App 

Ein Dia wird mit einer Klemme über ein iPad (der als Leutkasten fungiert) gehalten
Zeichnung (c) Kathi Seemann

Funktionsweise: 

Für Mittel- oder Großformat-Dias funktionieren die meisten Film-Scanner nicht. Dafür (und auch grundsätzlich für alle Formate) bietet sich eine andere Möglichkeit der Digitalisierung von Dias an: Für Android wie auch iOS gibt es diverse Diascanner-Apps, die abfotografierte Dias automatisch beschneiden und bearbeiten: Einfach das Dia mit einer Klemme und Tischstativ-Halterung (oder etwas Vergleichbarem) an einem Tisch fest über einem Tablet anbringen und die Bildschirmhelligkeit des Tablets auf 100% stellen. Das Tablet funktioniert nun wie ein Lichtkasten und beleuchtet das Dia von unten. Ein zweites Tablet mit der installierten App zum Fotografieren des Dias nehmen und Dia für Dia abfotografieren. Die App frischt nach dem Fotografieren automatisch die Farben des Bildes auf und korrigiert den Bildausschnitt.  

Anwendung: 

Dieses Verfahren ist zu Beginn etwas mühsam. Die Tabletkamera muss trotz Autobildkorrekturfunktion der App relativ präzise und ruhig über dem Dia gehalten werden, damit das Bild nicht unscharf wird. Mit ein bisschen Übung wird auch der Spaß am Ausprobieren größer. In der Diascanner-App lassen sich nachträglich einfache Bildkorrekturen vornehmen und das fertige Bild wird dann als JPEG exportiert. 

Station 3: Objekte fotografieren  

Eingesetzte Medien: 
1x Tablet  
1x Lichtzelt (Fotobox) mit LED Beleuchtung 
Diverse weiße Holzklötze 

Zeichnung einer Kamera, die ein Objekt fotografiert, welches in einer Lichtbox positioniert ist,
Zeichnung (c) Kathi Seemann

Funktionsweise: 

Ganz ähnlich wie im Vorherigen ist diese Station angelegt: Ein Tablet mit Kamera dient als Fotoapparat, die zu digitalisierenden Objekte (z.B. Eintrittskarten, Figuren, Bücher, Plakate, Anstecknadeln etc.) werden in einem Lichtzelt mit LED-Beleuchtung platziert. Das Lichtzelt ist ein viereckiger Kasten, der durch indirekte LED Beleuchtung und reflektierende Flächen eine gleichmäßige, weiche und schattenfreien Ausleuchtung des jeweiligen Motives ermöglicht. Er wird häufig in der Produktfotografie verwendet. Durch kleine runde Öffnungen vorne und auch oben am Lichtzelt wird das jeweilige Motiv abfotografiert. Da das Lichtzelt schnell aufgebaut werden kann, eignet es sich ideal als mobiles Fotostudio. 

Anwendung: 

Diese Station ist am wenigsten technisch in dem Sinne, da zunächst Aufbau des Lichtzelts und Positionierung der Objekte (mit Hilfe der weißen Holzklötze) im Mittelpunkt stehen. In einem zweiten Schritt wird dann mit der Tablet Kamera der Bildausschnitt bestimmt und fotografiert. Die sehr einfach zu bedienenden Kamera-Apps von Android oder iOS Tablets ermöglichen ein unkompliziertes Ausprobieren des In-Szene-Setzens des Motivs. Ein Großteil der Zeitzeug*innen konnte auch ohne fotografische Vorkenntnisse schnell zufriedenstellende Ergebnisse produzieren. 

Station 4: VHS Kassetten digitalisieren 

Eingesetzte Medien: 

1x VHS Player 
1x Laptop oder PC 
1x Video Grabber  
1x Video Capture Software 

Zeichnung eines Laptops, der über einen Videograbber mit einem VHS Player verbunden ist
Zeichnung (c) Kathi Seemann

Funktionsweise: 

Bei dieser Station wurde ein sogenannter Video Grabber verwendet, ein kleiner Converter, der das VHS Video über die Analogkabel Cinch und S-Video (oder Scart) in ein digitales Signal umwandelt und via USB in einen Laptop oder PC eingespeist. Eine Software zeichnet anschließend das digitale Signal  in Echtzeit auf und speichert das Ergebnis in einer gängigen Videodatei ab. Die Software zum Digitalisieren liegt den Video Grabbern in der Regel bei. Alternativ gibt es diverse Freeware wie z.B. Virtual Dub. Näheres dazu in der Anleitung „How To VHS Digitalisieren”.

Anwendung: 

Bei „München 72” wurde diese Station selten verwendet, da anders als angenommen die wenigsten Zeitzeug*innen ihre Super8 Aufnahmen bereits auf VHS archiviert hatten. In einigen Fällen gab es aber vor-digitalisiertes Super8 Material auf DVD. Dieses lässt sich ebenfalls mit der oben beschriebenen Methode (einfach den VHS Player mit einem DVD Player ersetzen) in eine gängige Videodatei umwandeln. Alternativ dazu gibt es diverse DVD-Ripper Software wie z.B. HandBrake.  

Station 5: Super8 Aufnahmen abfilmen

Eingesetzte Medien: 

1x Super 8 Projektor 
1x Telescreen (Spiegel mit Mattscheibe) 
1x Videokamera (oder Vollformatkamera mit Videofunktion)  
1x Videostativ 
1x Tablet mit Videoschnitt-App 
1x Mikrofon zzgl. Aufnahmegerät (optional) 
1x kleine Lautsprecherbox (optional) 

Zeichnung eines Super8 Projektors, der das Bild auf eine Mattscheibe mit Spiegel projiziert, welches wiederrum von einer Video Kamera abgefilmt wird.
Zeichnung (c) Kathi Seemann

Funktionsweise: 

Für „München 72” wurde dieses spezifische Set Up eingerichtet, da es im Vergleich zu anderen Methoden der Super 8 Digitalisierung das beste qualitative Ergebnis liefert und gleichzeitig mit seiner Anordnung aus Super 8 Projektor, Telescreen und Kamera auf sehr nachvollziehbare Art und Weise die einzelnen Schritte der Digitalisierung verdeutlicht. Alternativ gibt es die Möglichkeit, einen FrameByFrame Digitalisierer zu verwenden, der jedes Filmbild einzeln einscannt und anschließend wieder in einer Videodatei zusammensetzt. Dieses Verfahren dauert jedoch sehr lange und überzeugt qualitativ nur bedingt.  Das im Rahmen von „München 72” entwickelte Set-Up funktioniert wie folgt:  Der zu digitalisierende Super 8 Film wird über einen geeigneten Filmprojektor (im Fall von  „München 72” der Elmo ST-1200D) abgespielt. Der Projektor projiziert das Bild auf einen kleinen Telescreen, der mit einem integrierten Umlenkspiegel das Bild wiederum auf eine Mattscheibe wirft. Von dort wird das Bild mit einer Videokamera in Echtzeit aufgezeichnet.  

Teilweise haben Super 8 Filme auch eine Tonspur, die von den meisten Projektoren über eine integrierte Lautsprecherbox wiedergegeben werden. Für die Digitalisierung dieser bietet es sich an, den wiedergegebenen Ton mit einem Richtmikrofon aufzuzeichnen und direkt in die Videokamera einzuspeisen. In der Regel sind jedoch bei dieser Methode die Nebengeräusche des ratternden Projektors nicht unerheblich. Falls der Projektor über einen Audio Ausgang verfügt, kann so der Ton auch direkt mit einem Aufnahmegerät verbunden werden. Eine dritte Möglichkeit ist in der ausführlichen Anleitung „How To Super 8 ELMO“ beschrieben.

Im Fall von „München 72” wurden die digitalisierten Super 8 Aufnahmen in einem zweiten Schritt geschnitten. Gemeinsam mit den Zeitzeug*innen wurden relevante und zur jeweiligen Erinnerung passende Sequenzen ausgewählt. Über eine Videoschnitt-App auf einem Tablet ließ sich diese grundlegende Videoschnittbearbeitung unkompliziert realisieren. Bei „München 72” wurde ein iPad Pro mit der Videoschnitt-App LumaFusion verwendet.

Anwendung: 

Diese Station ist im Vergleich zu den vorherigen die komplexeste – bezogen auf die technische Ausstattung, das Set Up sowie die benötigte Zeit. Folglich wurden bei „München 72“ immer spezielle Termine für die Super 8 Digitalisierung vergeben. Pro Filmrolle (entspricht circa 17 Minuten Film) wurden ein bis zwei Mitarbeitende sowie ein Zeitfenster von 3 Stunden eingeplant.  

Dieses Digitalisieren in Echtzeit führte häufig dazu, dass viele Zeitzeug*innen beim Betrachten des Filmes ins Erzählen kamen. Diese Erinnerungen wurden per Ansteckmikrofon aufgezeichnet und in der anschließenden Videoschnittbearbeitung unter die Filmdatei gelegt. So konnte das Zeitdokument von damals durch einen nachträglichen Kommentar mit neuen Informationen und Beschreibungen angereichert werden. 

Diese fünf Digitalisierungsstationen waren Teil des Erzählcafés im Münchner Stadtmuseum und erweiterten das in Kapitel 1 beschriebene Sammeln von Erzählungen um eine digitale Komponente.  

Darüber hinaus gastierte dieses „Erzählcafé Digital” in einer mobilen Variante auch außerhalb des Stadtmuseums – in vier verschiedenen Stadtteilbibliotheken, in denen jeweils für ein paar Tage Münchner Zeitzeug*innen ihre Erinnerungen und Medien rund um Olympia 72 digitalisieren konnten.

Zugänglichkeit der Stationen 

Im Vorfeld wurden zunächst die Mitarbeitenden des Stadtmuseums und der Stadtteilbibliotheken in der Benutzung der jeweiligen Geräte geschult. Neben der technischen Funktionalität ging es um die Frage, wie Zeitzeug*innen möglichst eigenständig mit den jeweiligen Digitalisierungsstationen interagieren können, in der Hoffnung, dass das Erinnern durch eine praktische Tätigkeit positiv getriggert wird. In der Schulung wurden die Mitarbeitenden ermutigt, gemeinsam mit den Zeitzeug*innen die Geräte auszuprobieren und sich die jeweilige Funktionsweise, sofern sie sich nicht sofort vermitteln, anhand einer Trial-and-Error Methode anzueignen. Die intuitive Bedienung der jeweiligen Stationen führte meist zu schnellen Resultaten, die bei nicht zufriedenstellendem Ergebnis unkompliziert wiederholt werden konnten. Eine schriftliche How To Anleitung in einfacher Sprache wurde für jede Station entwickelt und beinhaltet Tipps bei der Problemlösung.

Ablage- und Speichersystem 

Im Laufe des Projektzeitraums von „München 72” haben über 100 Zeitzeug*innen ihre Medien digitalisiert. Um den Überblick zu behalten, wurde ein spezifisches Ablage- und Speichersystem entwickelt, das die Weiterverwendung der digitalisierten Medien erleichtern sollte: Nach jedem Digitalisierungsprozess wurden die entsprechenden Foto- bzw. Videodatein auf ein iPad übertragen und analog zu dem Ablagesystem benannt und in eine Daten-Cloud hochgeladen. Darüber hinaus erhielt jede*r Zeitzeug*in direkt im Anschluss einen USB Stick mit seinen/ihren digitalisierten Medien.

Variation des Formats 

Je nach technischer Vorerfahrung der Zielgruppe und individuellem Interesse daran, lässt sich die Betreuung der Stationen natürlich auch weiter zurückschrauben. Bei „München 72” und der Zielgruppen von überwiegend älteren Menschen mit wenig Vorerfahrung war eine eins zu eins Betreuung zwischen Mitarbeitender und Zeitzeug*in überwiegend die Regel. Dieser Ansatz hat durchaus Weiterentwicklungspotential und kann bei Bedarf stärker in Richtung autonome Digitalisierungsstation und Selbstständigem Arbeiten weiterentwickelt werden.