Als die Olympischen Spiele von München schon Geschichte waren, erwachten sie für Dagmar Carra (geborene Hein) zu neuem Leben. Zuvor hatte sie sich auf eine Annonce beworben, in der eine Sekretärin für die Führungsspitze eine internationale Organisation gesucht wurde. Frau Carra hatte einen Abschluss in Englisch vorzuweisen und legte ihrer Bewerbung zudem eine Urkunde bei, die sie als ehemalige Olympia-Hostess auswies. Am Ende waren ihr Bemühungen von Erfolg gekrönt. Sie bekam den Job und wurde Sekretärin von NOK-Präsident Willi Daume. „Dass ich Hostess gewesen war“, so Frau Carra, „hatte bei meiner Bewerbung sicher nicht geschadet.“ Willi Daume, damals oberster deutscher Olympia-Repräsentant, beschreibt Dagmar Carra als „schwierigen Chef “. Heute, mit 69 und nach so vielen Jahren allerdings mit einem nachsichtigen Lächeln. Die Olympischen Spiele selbst hat Frau Carra als heiteres, staatenverbindendes Ereignis in Erinnerung. Was heute allerdings nur noch schwer vorstellbar ist: Im Vorfeld der Spiele gab es für die angehenden Hostessen neben einer inhaltlichen Schulung auch einen Kosmetikkurs, in dessen Verlauf die jungen Frauen „lernen“ sollten, „wie man sich besonders vorteilhaft schminkt“. Von derlei Befremdlichkeiten abgesehen hatten die Hostessen im Laufe der Spiele durchweg sinnvolle Aufgaben – als Übersetzerinnen etwa oder als Anlaufstelle für Fragen aller Art. So auch Dagmar Carra, damals 19 Jahre alt und Betreuerin der Athlet:innen aus Kanada. Dagmars Büro im Olympischen Dorf lag in Sichtweite der Unterkunft des Olympia-Teams aus Israel. Am Morgen des Attentats auf israelische Sportler und deren Betreuer ist dieser Bereich abgesperrt. Ein Moment hat sich bei Dagmar Carra besonders eingeprägt. An der Absperrung sieht sie an diesem Morgen einen Mann, der mit Tränen in den Augen sagte, „sie haben meinen Freund erschossen“. Nach dem Attentat ist es vorbei mit den heiteren Spielen von München. Die Wettkämpfe gehen in gedrückter Stimmung zu Ende. Dass die Spiele fortgesetzt wurden, findet Dagmar Carra allerdings bis heute richtig. Im Falle des Abbruchs hätte der Terror einen Sieg davongetragen.
Beitrag entstanden im Erzählcafé München 72
Text von Michael Weilacher, basierend auf einem Interview mit Dagmar Carra