Siegerehrungs-Hostess

Sabine Ritgen, Siegerehrungs-Hostess bei den Olympischen Spielen von München und damals 25 Jahre alt, steht zusammen mit ihren Kolleginnen auf der VIP-Tribüne Spalier, als ihr ein Athlet aus Kanada eine Münze mit dem olympischen Emblem zuwirft. Das seltene Erinnerungsstück hat Frau Ritgen fünf Jahrzehnte lang gehütet. Bis heute fasziniert sie in ihrem Job als Hostess „so viele Sportler aus nächster Nähe gesehen zu haben – und das in dieser tollen Stimmung“. Eine weitere Erinnerung aus dieser Zeit: „Extra geschminkt in einem eigens eingerichteten Kosmetikstudio und die Haare gemacht“, so Frau Ritgen schmunzelnd, „stand für meine Kolleginnen und mich ein VW-Bus mit Chauffeur bereit. Das war damals natürlich das Höchste.“ Wie die anderen Siegerehrungs-Hostessen hatte auch Frau Ritgen, damals bereits ausgebildete Sportlehrerin, „lernen müssen, zu laufen und Medaillen zu tragen“. Zudem wurden „Größe und Aussehen gecheckt, und ob man fließend Englisch und Französisch sprechen konnte“. Insgesamt, erzählt Frau Ritgen, habe es 42 Siegerehrungs-Hostessen gegeben, unterteilt in Vierergruppen und mit jeweils eigener Tracht. Sie selbst habe ein Berchtesgadener Dirndl getragen. Überhaupt sei alles bunt und fröhlich gewesen in dieser Zeit, „es herrschte eine Wahnsinnsstimmung“. Aber eben nur bis zum 5. September, dem Tag des Attentats auf Sportler und Betreuer der Olympia-Mannschaft aus Israel. Weinend, erinnert Sabine Ritgen sich, habe sie an diesem Tag vor dem Fernseher gesessen und kaum glauben können, was da passierte: „Es war wie im Film, es fühlte sich komplett unwirklich an.“ Dem Terror zum Trotz denkt Frau Ritgen gern an die vielen schönen Momente der Olympischen Spiele von München zurück – und auch an ihren ganz praktischen Nutzen. In den Jahren nach den Spielen und als ehemalige Siegerehrungs-Hostess konnte die Sportlehrerin Sabine Ritgen bei den Bundesjugendspielen in ihrer Schule in perfekter Weise die gewonnenen Medaillen verleihen.

 

Beitrag entstanden im Erzählcafé München 72

Text von Michael Weilacher, basierend auf einem Interview mit Sabine Ritgen

+Erinnerung hinzufügen

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Erinnerung

Unter welchem Namen soll dieser Beitrag erscheinen?

Persönliche Informationen (werden nicht veröffentlicht)

Datenschutz*
×
×
×