Das Café Treff

Als Küchenchef im Arabella-Hotel am Spitzingsee hat Robert Westermeier schon den einen oder anderen Prominenten bekocht. Auch Sportler:innen waren darunter, was in dieser Gegend nicht ungewöhnlich ist. Trotzdem staunte Westermeier nicht schlecht, als ihm sein oberster Chef eine Tätigkeit im Rahmen der Olympischen Spiele anbot. Dieser schlug dem erfahrenen Koch eine Stelle im „Café Treff“ vor und Westermeier sagte zu. Das „Café Treff“ lag inmitten des Olympischen Dorfes am Platz der Nationen. Im Laufe der Spiele machte es seinem Namen alle Ehre, denn es entwickelte sich zum Treffpunkt vieler Athlet:innen. Und der Küchenchef vom Spitzingsee kochte für sie. Mehr noch: Im Olympischen Dorf traf Westermeier den Bobfahrer Franz Kemser. Die beiden kannten sich aus Garmisch-Partenkirchen. Über ihn gelangte Westermeier für seinen Sohn und seine Frau auch an ein paar Eintrittskarten auf der Ehrentribüne. Auch wenn der Sohn nicht genau wusste, wer sich da auf den Sitzplätzen neben ihm befand, besorgte sich der Neunjährige Zettel und Stift, um Autogramme der Ehrengäste einzusammeln. Zu Hause klebte er diese in sein rotes Autogrammbuch mit den Unterschriften der Sportler, die er bereits im Olympischen Dorf ergattern konnte. In dem Buch ist auch eine Zeichnung mit den Olympischen Ringen zu sehen. Das Besondere daran: Auf dem Bild des Jungen sind die Autogramme des neuseeländischen Ruder-Achters. Für den heute 58-jährigen Sohn des Kochs aus dem Olympischen Dorf ist das Autogrammbuch ein Erinnerungsstück von ganz besonderem Wert. Ähnlich seltene Souvenirs hat auch sein Vater bekommen. Eine Speisekarte aus dem „Café Treff“ zum Beispiel mit der Unterschrift der zweifachen Gold-Gewinnerin Heide Rosendahl und einen Wimpel der argentinischen Delegation. Auch Abzeichen der einzelnen Delegationen brachte Robert Westermeier mit nach Hause, im Olympischen Dorf war nämlich eine regelrechte Tauschbörse mit den Ansteckern entstanden. Eine andere Erinnerung an die Spiele von München lässt die Westermeiers allerdings bis heute erschaudern - die Geiselnahme vom 5. September. Der Sohn des Küchenchefs machte sich große Sorgen, denn er wusste, dass sein Vater nur unweit der israelischen Unterkunft arbeitete. Aber Robert Westermeier sah nur noch, wie der Konvoi mit den Geiseln auf dem Weg zu den Hubschraubern das Olympische Dorf verlies.

 

Beitrag entstanden im Erzählcafé München 72
Text von Michael Weilacher, basierend auf einem Interview mit Sebastian Westermeier

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