Als Dankeschön in den Wiener Wald

D. S., im Jahr der Olympischen Spiele von München 24 Jahre alt, ist Dolmetscherin für Russisch und Englisch. 1971 hatte sie ihre Sprachkenntnisse in Russland und den USA zusätzlich vertiefen können. Ideale Voraussetzungen, um sich auf eine Anzeige in einer deutschen Frauenzeitschrift zu melden, in der von einer „Chance für 1.200 junge Frauen“ die Rede ist. Die Chance: Als Olympiahostess die Olympischen Spiele von 1972 hautnah zu erleben. Zunächst aber wird die junge Frau aus Schwabing als „einfache“ Hostess für die Mannschaftsbetreuung eingeteilt. Dann aber, am 8. Juli 1972 (dieses Datum ist ihr in Erinnerung geblieben), erfährt S., dass sie aufgrund ihrer Qualifikation in München Chefhostess werden wird - Olympia kann kommen. Während ihrer Chefhostessenausbildung lernt sie eine Kollegin kennen, die später in die Geschichtsbücher eingehen wird: Silvia Sommerlath, ab 1976 Königin von Schweden. Den Fackellauf erlebt die junge Frau auf dem Königsplatz. Dann, bei der Eröffnungsfeier, ist ihr Stehplatz als Teil eines optischen Bandes aus ganz vielen anderen Hostessen „ganz oben im Stadion, bei einer wirklich einmaligen Stimmung“, wie Frau S. noch heute sagt. Ganz anders ist die Atmosphäre bei der Abschlussfeier, nach dem Attentat auf die Mannschaft aus Israel und dem Gedenken an die Opfer. Die heiteren Spiele von München sind Vergangenheit, die Stimmung ist gedrückt. „Ich musste während der Schlussfeier als Schildträgerin einfach nur weinen“, erzählt S. Die Attentäter vor Augen, habe sie gedacht: „Warum tun sie uns das an, warum unsere Spiele?“ Dennoch hat Frau S. hauptsächlich positive Erinnerungen an Olympia 1972. Nicht zuletzt auch an ihre damalige Chefin, Dr. Emmy Schwabe. Die Österreicherin hat sämtliche Hostessen von München unter ihrer Obhut. Nach dem Abschluss der Olympischen Spiele lädt Emmy Schwabe, die ihre ganze Energie und ihr ganzes Herzblut in das organisatorische Gelingen der Spiele gesteckt hatte, „ihre“ jungen Chefhostessen zu einem Abschiedsessen in den Wiener Wald ein.

 

Beitrag entstanden im Erzählcafe München 72

Text von Michael Weilacher, basierend auf einem Interview mit D. S.

+Erinnerung hinzufügen

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Erinnerung

Unter welchem Namen soll dieser Beitrag erscheinen?

Persönliche Informationen (werden nicht veröffentlicht)

Datenschutz*
×
×
×